Der Vermittlung von Präventionswissen sollten Trainer- und Betreuerteam mehr Priorität schenken. Denn Athleten fehlt der Erfahrungshorizont und in Kombination mit Euphorie oder Panik steigt die Gefahr einer Verletzung stark an. Die Vermittlung von Wissen und der Schutz des Athleten vor schädlichen Belastungen ist eine der wichtigsten Aufgaben des Trainer- und Betreuerteams. In Sportarten wie der Leichtathletik oder das Gewichtheben sind Leistungsverbesserungen von 1 bis 2% pro Jahr realistisch. Somit sind mittlere Leistungszugewinne pro Trainingseinheit auf Olympischen Level sehr gering (0,005% bei 200 Trainingseinheiten). Demgegenüber stehen potenzielle Leistungsverluste von mehreren Prozent durch trainingsbedingte Schäden. Unzureichende Technik und Ermüdung sind eine häufige Risikokombination für Überlastungsverletzungen und Drop-Outs (Enoksen, 2011). Somit steht bei ungenügender Erholung einem marginalen Leistungszugewinn ein unverhältnismäßiges Verletzungsrisiko gegenüber.
Schmerzen und Überlastungsverletzungen sind Anzeichen einer Athletenbetreuung, in der energetische und strukturelle Pufferzonen ausgereizt sind. Damit sind die Voraussetzungen für eine gesunde Gelenkfunktion, Lernfähigkeit, starke Immunabwehr und mentale Stärke reduziert. Im Rahmen der Systemtheorie spricht man von energieabbauenden Systemen. Energie ist ein elementarer Treibstoff für Erfolg, daher müssen zunächst die Voraussetzungen für ein energieaufbauendes System geschaffen werden. In diesem Präventionsmodell treten Schmerzfreiheit und Verletzungsminimierung als positive Nebeneffekte auf. Entscheidender Faktor für den Aufbau eines energieaufbauenden Systems ist ein gemeinsamer Wertehorizont (Gesundheit, Leistungsaffinität, Lernen, Kreativität), ein hohes anatomisches, physiologisches und psychologisches Fachwissen, Managementfähigkeiten und anwendungsspezifisches Know-How.
Mehrdimensionale Prävention
Der Wert eines Präventionssystems zeigt sich oberflächlich betrachtet nur indirekt bzw. im Nachhinein, wenn man ungewünschte Outcomes wie Verletzungen, ausgefallene Trainingszeiten, Wettkämpfe und die dadurch entstanden Kosten für die Akut- und chronische Behandlung analysiert.
Daher sind weitere Parameter wie Leistungsstagnation, Energielevel, Schlaf- und Erholungsqualität, Leistungsmotivation, Teamspirit, Bewegungssymmetrie und das Auftreten von Schmerzen im Training für die systemdynamische Analyse interessant. Beispielsweise sollten Schlafparameter eine elementare Bewertungsgröße in Präventionsprogrammen sein, da Schlaf die Konzentration, Immunstärke, Erholung und Regeneration steigert (Walker, 2018). Ebenso sind die Steigerung der muskulären und geistigen Entspannungsfähigkeit, die Atemtechnik sowie das Verständnis von Erholungs- und Regenerationsmaßnahmen relevante Messgrößen für den Erfolg von Präventionsprogrammen. Dieser mehrdimensionale Kontext liefert den Rahmen für eine systematische Bewertung des Präventionsmanagements im mittel- bis langfristigen Zeithorizont.
Auch für leistungsfördernde Innovationen leiten sich aus dem systemdynamischen Prävention Forderungen wie die Erhöhung des Sicherheitsaspekt ab. Hierzu einige Beispiele aus der Sportzahnmedizin:
1. Die Performanceschiene soll durch eine verbesserte Rumpfvorspannung zu höheren Muskelaktivitäten in der Leistungsmuskulatur und damit zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit beitragen. Ungeklärt ist allerdings, ob das Verletzungsrisiko bei hochintensiven Belastungen erhöht ist, wenn nach längerem Training mit Performanceschiene und dem dadurch bedingten höheren Leistungspotential die Schiene nicht getragen wird (z.B. wegen Beschädigung). Diese Erkenntnis ist wichtig, um den langfristigen Mehrwert von Performanceschienen für die Prävention und Leistungsoptimierung zu bewerten.
2. Eine Entspannungsschiene kann den Athleten vor dem Abbau wertvoller Zahnsubstanz schützen und gleichzeitig negativen Haltungseffekten vorbeugen.
Technische Innovationen, neues Wissen und Strategien sollen Veränderung bewirken. Für den schonenden Umgang mit Sporttalenten sind vor allem Strategien und Technologien für den Schutz des Leistungspotentials zur mittel- und langfristigen Leistungsentwicklung und nach der Karriere erforderlich. Um den neuen Anforderungen nachzukommen sind neue Aufgabenfelder im Bereich Erholung, Entspannung und Regeneration nötig. Diese Veränderungen sind notwendig, um wichtige Ressourcen bei der kurzfristigen Symptombehandlung zu schonen und wertschöpfend in mittel- bis langfristig orientierte Systeme zu investieren. Aus ökonomischer und ökologischer Perspektive spricht wenig gegen diesen Ansatz. Mit diesem Beitrag möchte ich zur Gestaltung und Evaluation interdisziplinärer Präventionssysteme beitragen. Denn nicht nur der Leistungssport, sondern die ganze Gesellschaft sollten hiervon profitieren.